1. Im fremden Gehäuse
  2. Bildungsarchitektur
  3. Einheit und Auslagerung
  4. Neo-Monumentalismus auf dem Campus
  5. Wiederaufbau Neuaufbau
  6. Erbe mit Zukunft

Architekturen der Wissenschaft

Die Universitäten Berlins in
europäischer Perspektive

1 Wo alles begann: Universität im fremden Gehäuse

1 Im fremden Gehäuse

Die Universität zu Berlin wurde 1809 gegründet, ab 1810 fanden Lehrveranstaltungen statt. 1828-1945 unter dem Namen „Friedrich-Wilhelms-Universität“, seit 1949 „Humboldt-Universität“, bildete sie den Ausgangspunkt für die heute so reiche Universitätslandschaft in Berlin.
Ihren Platz fand sie in ihren Anfängen freilich nicht in einem speziellen Gebäude für Lehre und Forschung, sondern sie wurde untergebracht in einem spätbarocken Palais, das Teil eines historischen architektonischen Ensembles war.

Berlin
Die Universität

Der preußische König Friedrich II. inspirierte die Platzanlage (heute Bebelplatz) mit dem Opernhaus (heute Staatsoper), der Königlichen Bibliothek (heute Juristische Fakultät der Humboldt-Universität), der Hedwigs-Kathedrale und dem für seinen Bruder erbauten Prinz-Heinrich-Palais. Das erste Gebäude entstand 1743.

Vom Palais zur Universität

Dass sich eine Universität in einem „fremden Gehäuse“ einrichten musste, war nicht ungewöhnlich: So mussten bis ins 19. Jahrhundert viele europäische Universitäten bei ihrer Gründung Gebäude beziehen, die für andere Zwecke errichtet worden waren, etwa Adelspaläste oder Klöster.

London

Ein weiteres Beispiel für eine neue Universität in fremdem Gehäuse: Das Londoner King’s College, gegr. 1829. Es bezog Räumlichkeiten im Somerset House, einem 1775 von William Chambers errichteten Palastkomplex. Das College teilte sich das Gebäude mit einer Reihe von staatlichen Ämtern, Behörden und Einrichtungen, darunter die Royal Academy of Arts (bis 1857) und das Navy Board (bis 1873).

Oslo

Bemerkenswert ist, dass das Schema des Schlossbaus viele weitere neue Universitätsgebäude in Europa inspirierte. In Oslo beeinflusste der preußische Architekt Karl Friedrich Schinkel den Entwurf der „Domus Academica“ von 1852 maßgeblich.

Sonderfall Medizin

Gebäude für die Medizin und auch Sternwarten waren die ersten spezifischen Wissenschafts-Bauten. Die bereits 1710 gegründete Berliner Charité verfügte über eigene Gebäude und musste nicht auf vorhandene Räumlichkeiten zurückgreifen.

CharitéDie Charité wurde 1710 als Pesthaus vor den Toren der Stadt gegründet.

Ebenso wichtig wie die Humanmedizin wurde im 19. Jahrhundert die Tiermedizin. Die 1790 eingerichtete Königliche Tierarzneischule entstand auf dem Gebiet des ehemaligen Gräflich Reuß’schen Gartens. Als Bauform wurde die Villa suburbana gewählt, also ein Arrangement bestehend aus mehreren Einzelgebäuden, deren Zentrum ein architektonisch auffälliges Hauptgebäude auf einer Anhöhe bildet. Die Gestaltung des Areals entsprach dem Vorbild des englischen Landschaftsgartens.

Charité-Klinikbauten

Zwischen 1897 und 1917 entstand ein neuer moderner Klinikkomplex: die Charité, wie sie heute noch sichtbar ist. Hier die Chirurgische Klinik von 1904

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2 Bildungsarchitektur

2 Bildungsarchitektur

Technische Hochschulen

Die verbreitete Umnutzung bestehender Gebäude wurde erst nach 1850 von einer neuen Bildungsarchitektur abgelöst, insbesondere um den technischen Wissenschaften architektonischen Ausdruck zu verleihen. Die repräsentativen Hauptgebäude griffen das barocke Schlossbauschema auf und verbanden es mit der Idee der Universität: Aus dem Festsaal wurde etwa die festliche Aula. Statt funktional differenzierte Räume für die unterschiedlichen Disziplinen zu bieten, galt es, im gemeinsamen Haus der Wissenschaft zu wirken.

Technische Hochschule Charlottenburg Der Entwurf des Direktors der Bauakademie Richard Lucae von 1877.

Zürich

Gottfried Sempers Polytechnikum wurde 1864 zum Vorbild für eine monumentale Bildungsarchitektur in Europa, insbesondere für die Technischen Hochschulen in der Ära von Hochindustrialisierung und Gründerzeit.

Technische Hochschule Charlottenburg Über drei Etagen finden alle Fachgebiete (außer Chemie) im Hauptgebäude Platz. Große Flächen werden von Sammlungen eingenommen, von denen viele öffentlich zugänglich waren. Neben der Gips-Sammlung und dem Museum für Ingenieur- und Maschinenbauten auf beiden Seiten des Vestibüls auch etwa das Beuth-Schinkel-Museum, die Callenbach-Sammlung oder die geologische Lehrsammlung.

Berlin Der Lichthof des 1884 fertiggestellten Hauptgebäudes der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin ist ein Beispiel für die repräsentative Architektur für einen Hochschulbau neuer Größe im Deutschen Reich.

Wachstum im städtischen Raum

Sowohl an der Universität wie auch bei der Technischen Hochschule reklamierte ein Fach als erstes ein eigenes Gebäude: die Chemie. Ihr Beispiel sollte die spätere Ausdifferenzierung in verschiedenartige Wissenschafts-Quartiere bestimmen. In Mitte wurde eine Entwicklung entlang der Dorotheenstraße angelegt, in Charlottenburg erweiterte die Chemie das Hauptgebäude zu einem Achsen-Ensemble, das später durch den Erweiterungsbau fortgeführt wurde. 

Berliner Universität: Dorotheenstraße
Durch die Lage in der eng bebauten neuen Stadtmitte, gestaltete sich die Erweiterung der Berliner Universität ab den 1860er Jahren mit Instituten und der Bibliothek schwierig und es musste schrittweise auf weiter entfernte Orte zurückgegriffen werden.

1865 Chemisches Institut der Universität

Nur mit der Zusage, ein neues Laboratorium nach seinen Wünschen erbauen zu lassen, war der Chemiker August Hofmann für Berlin zu gewinnen. Er hatte zuvor schon in London und Bonn Labore eingerichtet. Der Bedarf an Licht und Belüftung zeigt sich an den ungewöhnlich großen Fensterflächen. 

Technische Hochschule Charlottenburg In den verschiedenen Vorschlägen für die Gebäude Hochschule wurden das Chemiegebäude immer separat platziert.

1884 Chemisches Laboratorium der Technischen Hochschule

Das Chemische Institut wurde östlich vom Hauptgebäude errichtet, da meist westlicher Wind herrschte. Mit der rasanten Entwicklung der Chemie änderten sich auch die baulichen Anforderungen rasch, so dass für Julius Raschdorff nicht Hoffmanns Labor Vorbild wurde. Stattdessen griff er Anregungen aus Gießen, Zürich, London und, bezüglich des Grundrisses, Wien auf.

Natur­wissen­schaft­liches Quartier (Dorotheenstraße) Ein ganzer Straßenblock wurde 1878 vom größten Institutsbau Europas eingenommen. Mit Blick auf Spree und Reichstag forschten hier etwa Hermann von Helmholtz, Max Planck und Walther Nernst...

Vier Institute in einem Bau Als wollte sich die Universität der Zersplitterung in Einzelfächer widersetzen, wurden die Naturwissenschaften zusammen ausgelagert und ermöglichten etwas, was wir heute Interdisziplinarität nennen. Der wissenschaftliche Erfolg sollte nicht ausbleiben: Es wurde ein Quartier der Nobelpreisträger.

Konflikte mit der Stadtentwicklung

Bereits als die naturwissenschaftlichen Institute der Berliner Universität gebaut wurden (1873-1878), mussten die Wissenschaftler darum kämpfen, dass die vor ihrem Institut geplante Stadtbahntrasse ihre empfindlichen Experimente nicht unmöglich machen würde. Sternbeobachtungen, chemische Experimente, physikalische und physiologische Messungen – waren diese in der Großstadt noch möglich?

Problem Stadtbahn Dass die Stadtbahn eine Doppelkurve zwischen Hauptbahnhof und Bahnhof Friedrichstraße macht, ist Helmholtz und Du Bois-Reymond zu verdanken. Aber kurz nach ihrem Ableben schlug Siemens & Halske 1897 erneut vor, eine Unterpflaster bahn direkt vor dem Physikalischen Institut vorbeizuführen…

Von der Repräsentation zur Funktionalität

»… ob es wohl zweckmäßig sei, mit ungewöhnlich hohen Kosten die gegenwärtig üblichen Monumentbauten zu errichten, oder ob man sich nicht mit ganz einfachen Nützlichkeitsbauten (etwa in Barackenform) begnügen sollte …«

Handbuch der Architektur, 1905

Das neue Chemie-Institut der Berliner Universität Der von außen eher schmucklose Neubau war „an Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit der Arbeitsmittel von keinem ähnlichen Institut in der Welt übertroffen”, wie Emil Fischer bei der Eröffnung im Juli 1900 verkündete.

Funktionale Institutsarchitektur der Chemie-Instituts von Emil Fischer, der 1902 den Chemie-Nobelpreis erhielt.

3 Einheit und Auslagerung

3 Einheit und Auslagerung

Einheit der Wissenschaft – Einheit der Standorte?

In der wachsenden europäischen Metropole Berlin versuchten die Universitäten im späten 19. Jahrhundert, weitere innerstädtische Räume zu erschließen, die für Institute, Labore, aber auch für die Sammlungen dringend benötigt wurden. In enger Verbindung zur Stadtentwicklung konnten sie vormals industriell genutzte Areale übernehmen. Vor allem aber gewann die Vision einer Auslagerung der gesamten Universität an den Stadtrand an Attraktivität. Diese Vision sollte auf lange Sicht – und unter völlig veränderten politischen Umständen – Wirkungen zeitigen.

Lindenstraße:
Schinkels Sternwarte (1835)
Die Sternwarte der Akademie von 1710 war eine der wenigen wissenschaftlichen Einrichtungen in der unmittelbaren Nähe der Universität. Sie wurde von ihr nach der Gründung mitgenutzt. Da die schlechte Stadtluft die Beobachtungen erschwerte, wurde bis 1835 eine neue Sternwarte auf Kabinettsorder von Karl Friedrich Schinkel in der Nähe des Halleschen Tors errichtet. Ab 1889 gehörte sie zur Universität.

Neue Standorte der Universität 1830-1880

Invalidenstraße

Das Gelände vor dem Neuen Tor im Norden Berlins wurde im Volksmund „Feuerland“ genannt, weil hier Eisengießereien ansässig waren. Als diese 1872 verlagert wurden, konnten hier Museen und Hochschulen angesiedelt werden. Neben der Bergakademie (mit Geologischem Landesamt) und der Landwirtschaftlichen Hochschule war es insbesondere ein Museumsbau, der für die Universität Entlastung bringen sollte.

Das Museum für Naturkunde 1889 Das Gebäude Unter den Linden hatte seit Gründung der Universität wachsende zoologische, mineralogische und andere naturkundliche Sammlungen beherbergt. Nun stieß die Leitidee einer Lehre aus unmittelbarer Anschauung an ihre räumlichen Grenzen. So wanderten 1889 unzählige Exponate in das neue Museum für Naturkunde und ermöglichten, das Hauptgebäude nach Umbau neu zu nutzen. 

Standort Invalidenstraße Die drei wissenschaftlichen Einrichtungen bilden eine architektonische Einheit und dienten als Keimzelle für einen Wissenschafts- und Museumsstandort Invalidenstraße. Architektonisch etwas weniger auftrumpfend als die Technische Hochschule, ordneten sie sich in eine Hierarchie des Kaiserreichs ein, die sich auch in den Gebäudegestaltungen widerspiegelt. 

Von der Universität ins eigene Museum

Das hier gezeigte Tritonshorn, das Gehäuse einer Seeschnecke, wanderte 1888 wie Tausende anderer Schneckengehäuse, Mineralien oder Wirbeltiere in das neue Museum für Naturkunde, das nicht, wie zunächst beabsichtigt, auf der Museumsinsel, sondern an der Invalidenstraße errichtet wurde. Mit den Objekten waren auch die dazugehörigen Institute umgezogen und bis 2009 blieb das Museum Teil der Humboldt-Universität.

Der Traum von der Campus-Universität 

Die Idee, die ganzen Berliner Universität(en) aus der Innenstadt hinaus zu verlegen, findet sich immer wieder: etwa 1873 und in den 1890er Jahren an den Stadtrand, um 1902 nach Dahlem, 1910 und 1925 an die Havel, 1939 an die Heerstraße, 1960 nach Blumberg … Offenbar konnte der Traum von einer großartigen Bildungsarchitektur auf einem Universitäts-Campus immer wieder begeistern, aber in Berlin nie verwirklicht werden.

Wettbewerb Groß-Berlin 1910

Der Entwurf von Havestadt & Contag von 1910 zeigt die Vision einer Campus-Universität mit imposanten Gebäuden nördlich der Havel, die mit einer Eisenbahnbrücke an die Innenstadt angeschlossen ist. 1925 sollte der Architekturkritiker Karl Scheffler erneut dafür werben.

Dahlem
Friedrich Althoff im Preußischen Kultusministerium konnte in den 1890er Jahren manche Professoren nicht mehr nach Berlin locken, weil Räume und Bauplätze für attraktive Institute fehlten. Als 1901 die Domäne Dahlem aufgeteilt wurde, kämpfte er dafür, mindestens 100 Hektar für die Wissenschaft zu reservieren. Doch sein Plan, die gesamte Universität nach Dahlem zu verlegen, scheiterte. Dennoch versuchte man zumindest für die Naturwissenschaften sowie für Museen und Archive die „Reservate“ zu nutzen.

Ein „deutsches Oxford“?
Die umfangreichen Akten über den Ausbau Dahlems als neuem Wissenschaftsstandort füllen Bände. Hier findet sich auch die auf Friedrich Althoff zurückgehende Wendung von der „Begründung einer durch hervorragende Wissenschaftsstätten bestimmten vornehmen Kolonie, eines deutschen Oxfords“ (in Klammern auf dem Aktendeckel). Dabei war nicht an eine Nachahmung der britischen College-Universitäten in Oxford oder Cambridge gedacht, sondern vielmehr sollten „vornehm“ und „Oxford“ wohl in etwa das ausdrücken, was heute mit „Exzellenz“ gemeint ist.

4 Neo-Monumentalismus auf dem Campus

4 Neo-Monumentalismus

Das Modell US-amerikanischer Campusuniversitäten wurde im späten 19. Jahrhundert zunehmend auch in Europa rezipiert. Neue Popularität gewann es nach dem Ersten Weltkrieg. In den Randbezirken europäischer Großstädte ließen sich die funktionalen Anforderungen moderner Wissenschaften in vergleichbaren Anlagen umsetzen. Weite Flächen ermöglichten die räumliche Zusammenfassung aller Fakultäten an einem Ort. Die alte Idee von der Einheit der Wissenschaften in der Universität fand hier nochmals ihren Ausdruck.

Vorbilder in Madrid und Rom

Die Campus-Idee im National­sozialismus

Wie in keinem anderen Land wurden im nationalsozialistischen Deutschland die Wissenschaften instrumentalisiert und ihre Organisation zentralisiert. In den Plänen Adolf Hitlers und Albert Speers bildete der Bau einer monumentalen Hochschulstadt ab 1937 ein zentrales Element in der radikalen Umgestaltung Berlins. Südlich des Olympiastadions sollte ein riesiger Komplex als Tor zur „Reichshauptstadt Germania“ an der brutal durch die Stadt geschlagenen Ost-West-Achse entstehen. Für die Hochschulstadt wurde auch der Neubau in Rom als Vorbild herangezogen.

NS-Hochschulstadt

Fast alle architektonischen Entwürfe, die im ausgeschriebenen Wettbewerb eingereicht wurden, waren von einer „maßstabslosen Übergröße“ (Wolfgang Schäche) gekennzeichnet. Hier ein Entwurf von Otto Kohtz, in dem das Berliner Olympiastadion klein im rechten Teil erscheint.

Auftakt zu einer tausendjährigen Stadt?

Bei der Grundsteinlegung der Wehrtechnischen Fakultät 1937 betonte Adolf Hitler die Bedeutung der „Hochschulstadt“ für die geplante Umgestaltung Berlins: „Mit dem heutigen Tage beginnt in Berlin eine Periode baulicher Neugestaltung, die das Bild und [...] den Charakter dieser Stadt auf das tiefste verändern wird.“ Die Wehrtechnische Fakultät, so Hitler, bildete den Auftakt für den Bau einer „tausendjährige[n] Stadt“ und nahm die propagandistische Funktion eines „Denkmal[s] [...] der deutschen Kultur, des deutschen Wissens und der deutschen Kraft“ ein.

Die Fertigstellung der Hochschulstadt in Berlin war für 1950 geplant. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden jedoch alle Arbeiten eingestellt.

Die Wehrtechnische Fakultät

Als erster Bau der „Hochschulstadt“ wurde 1937 mit dem Bau der Wehrtechnischen Fakultät begonnen, was den Primat kriegswichtiger Forschung ausdrückte. Fertiggestellt wurde lediglich der Rohbau des Hauptgebäudes, nach einem Entwurf von Hans Malwitz.

Den Zeitgenossen wurden die Ausmaße des fertiggestellten Baus (hier das Hauptgebäude) bereits bildlich vor Augen geführt. Kriegsbedingt mussten die Bauarbeiten eingestellt werden.

Der Rohbau wurde im Krieg zerstört. Die Reste der Trümmer liegen heute unter dem Teufelsberg im Grunewald.

Die Technische Hochschule im National­sozialismus

An der gleichen Straßenachse gelegen wie die geplante Hochschulstadt, erhielt das Hauptgebäude der Technischen Hochschule anlässlich des Besuchs Mussolinis 1937 einen vorgelagerten Parade- und Aufmarschplatz. Davon ist heute wenig übrig.

Noch heute zeugen die Straßenlaternen, Teil des von Albert Speer veranlassten Schmuckprogramms für die Ost-West-Achse, die heutige Straße des 17. Juni, von der NS-Vergangenheit.

5 Wiederaufbau Neuaufbau

5 Wiederaufbau Neuaufbau

Berliner Universität ohne Priorität

„Arbeiter und Bauernkinder an die Universität!“ - So forderten es Sowjetische Besatzungsmacht und, ab 1946, die SED. Zur Wiedereröffnung der Universität Unter den Linden im Januar 1946 wurden die Gebäude nur notdürftig instandgesetzt. An Neubauten für die Wissenschaft war nicht zu denken, denn Priorität hatten Wohn- und Sozialbauten, um einer neuen Klasse das Studium überhaupt zu ermöglichen. Neue Wissenschaftsbauten und Standorte gab es für die Akademie, die nach sowjetischem Vorbild die Spitzenforschung monopolisieren sollte.

Versuche, neue Standorte für die HU zu finden, gab es mehrere. Adlershof mit den Windkanälen und der ehemaligen Luftfahrt-Versuchsanstalt und den neuen Akademie-Instituten bot sich für die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät an. Doch scheiterte dies 1960 am Veto des Ministeriums für Staatssicherheit, welches dort ein Wachregiment unterhielt. Erst nach der Wende 1989/90 sollten diese Pläne in neuer Form umgesetzt werden.

„Humboldt-Universität“

Nicht nach Marx und Engels, sondern nach Wilhelm und Alexander von Humboldt wurde die Berliner Universität 1949 umbenannt. Als erstes wurden die Fassaden wiederhergestellt: Das erneuerte Portal mit dem Schriftzug „Humboldt Universität“ im Oktober 1951. Der Sozialismus schlug sich baulich nieder im Marx-Zitat auf der Treppe (Mai 1953) und in den Bleiglasfenstern der neuen Aula (1962).

Die neue Technische Universität

An der 1946 neu gegründeten Technischen Universität wusste man vor allem, was man nicht (mehr) wollte. Der junge Architekt der TU Willy Kreuer war bereits an der Amerika-Gedenkbibliothek beteiligt, die als Symbol für Meinungsfreiheit geplant war. Nun kam ihm die Aufgabe zu, für „Kohle, Eisen und Stahl“ ein Gebäude zu entwerfen, das mit Kaiserreichs- und NS-Traditionen brach. Zudem sollte der ganze Ernst-Reuter-Platz zum „Symbol des freien Berlins“ werden.

Bergbau und Hüttenwesen

Willy Kreuers Institut für Bergbau und Hüttenwesen von (1959) ist einer der wenigen Nachkriegsbauten in Stahlskelettkonstruktion, er hat mit Aluminium verkleidete Säulen, die blaue Glaskörper einspannen. Der quadratisch strukturierte Baukörper schwebt gleichsam über dem Boden.

Ernst-Reuter-Platz

Inspiriert von Corbusiers Ideen der „vertikalen Stadt“, entwickelte Bernhard Hermkes eine stadtplanerische Antwort auf die Forderung nach „Demokratie als Bauherr“. Eine offene Bebauung ohne Betonung von Achsen und Straßensternen wurde mit einem freien Verkehrsfluss verbunden und als Antwort des freien Westens auf die Stalinallee und den Strausberger Platz verstanden.

TU-Hauptgebäude
Zwischen 1960 und 1965 ersetzten die Architekten Kurt Dübbers und Karl-Heinz Schwennicke die im Krieg weitgehend zerstörte Frontpartie des Hauptgebäudes durch eine zehngeschossige Hochhausscheibe und verkleideten die Seitenflügel neu. Damit änderte sich der Eindruck radikal: Der Altbau wurde vollständig unkenntlich gemacht und eine rein funktionale Architektur verwirklicht.

Architektur der Freiheit

»Die Freie Universität ist … das lebendige Zeugnis für den Kampf um geistige und kulturelle Freiheit … eine Protestgründung gegen die Unterdrückung des Geistes durch die Steppe.«

Rektor Edwin Redslob im Kommentar zum Bauwettbewerb 1951

Henry-Ford-Bau
Der architektonische Auftakt für eine neue freie Universität war - nach der bereits im Vorjahr eröffneten klassisch-modernen Mensa - 1954 der Henry-Ford-Bau. Der von der amerikanischen Ford Foundation finanzierte Komplex kombinierte das Audimax und weitere Hörsäle mit einer Bibliothek. Hell, offen, transparent und großzügig verbanden sich amerikanische und deutsche Stilelemente, etwa von Frank Lloyd Wright und dem Bauhaus.

Ein Erbe der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
Verlassene Gebäude der Kaiser-Wilhelm-GesellschaftInsitute und insbesondere das Freigelände des Biologieinstituts eröffneten die Möglichkeit für einen Dahlemer Süd-Campus als improvisierte Antwort auf die Entwicklungen Unter den Linden. Zunächst in umliegenden Villen und im Verlauf der 1950er Jahre auch in Neubauten untergebracht, verwandelte sich ein alter Forschungsstandort in eine Universität, die jedoch maximal 10.000 Studenten aufnehmen konnte.

„Instrument not Monument“

Aus dem 1960 getroffenen Entschluss zum Ausbau der Hochschulen in der Bundesrepublik gingen nicht nur neue Universitäten in Bochum, Regensburg oder Konstanz hervor, sondern auch eine „Megastruktur“ und ein „Großrasterplan“ für die FU Berlin. Sie setzte auf Serialität, Modularität und Fertigteilbau.

Rost- und Silberlaube
Der Siegerentwurf des Pariser Architekten-Teams wurde Candilis, Josic, Woods, Schiedhelm wurde in zwei Bauabschnitten modifiziert verwirklicht: Rostlaube 1967-73 und Silberlaube 1975-79. Die Rasterelemente wurden für den zentralen und südlichen Streifen etwas verändert, während im Nordstreifen kompaktere Strukturen etwa für die Mensa verwirklicht wurden.

6 Erbe mit Zukunft

Die architektonische Vielfalt und der besondere architektonische Reichtum der Berliner Universitäten ist im Verlauf von mehr als zwei Jahrhunderten stetig gewachsen – und wächst weiterhin. Heute stehen neben altehrwürdigen Gebäuden hochmoderne neue Gehäuse für die Wissenschaften.

Das älteste Lehrgebäude

Mit ihren Gebäuden bewahren die Berliner Universitäten ein reiches kulturelles Erbe. Nach behutsamen Renovierungen füllt heute neues Leben die alten Mauern. Herausragendes Beispiel ist die Wiederherstellung des ältesten erhaltenen Lehrgebäudes in Berlin, des Tieranatomischen Theaters von 1790.

Ein technisches Wahrzeichen

Seit 2017 erstrahlt die 1974 eröffnete „Rosa Röhre“, der Umlauftank der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau der Technischen Universität, in neuem Glanz.

Der Bestand wird freilich nicht nur bewahrt, sondern auch dynamisch weiterentwickelt und an die Bedingungen einer lebendigen Wissensgesellschaft angepasst. Besonders spektakulär gelungen ist dies im Bibliotheksbau.

Humboldt-Universität
Mit dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität, wurde 2009 ein spektakulärer Wissensspeicher in der Mitte Berlins eröffnet. Max Dudler, der Architekt des Grimm-Zentrums, beschreibt es prägnant als einen Ort, an dem „im humboldtschen Sinne Wissensgebiete zusammengeführt werden – und zugleich die Besucher angeregt, die Grenzen dieser Gebiete im wahrsten Sinne des Wortes zu überschreiten.“

Technische Universität und Universität der Künste
In Charlottenburg wurde 2004 eine neue Universitätsbibliothek eröffnet, die gleich zwei Universitäten dient.

Freie Universität
2005 wurde auch die neue Philologische Bibliothek der Freien Universität eröffnet, die die Struktur der Rostlaube produktiv aufgebrochen hat. „The Brain“, „das Gehirn“, wie der Bau Sir Norman Fosters genannt wird, führt den avantgardistischen Anspruch des Standorts fort und verbindet aufregende Ästhetik mit zukunftsweisender Gebäudetechnik.  

Cambridge
Die neue Bibliothek der Freien Universität war inspiriert von der Squire Law Library in Cambridge, die ebenfalls nach einem Entwurf Norman Fosters 1996 fertiggestellt wurde.

Bauen für die Wissenschaft: Auf allen Campi der Berliner Universitäten entstehen neue Gebäude.

Anspruchsvolle Architektur für die Wissenschaft hat in Berlin nicht nur Geschichte, sondern auch Zukunft. In dieser dynamischen Stadt im Herzen Europas lebt das kulturelle Erbe weiter. Neue Bauten für die Wissenschaft sind in Entstehung begriffen oder befinden sich in Planung. Auch sie werden, das ist sicher, das europäische Kulturerbe bereichern.

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Animation 1565-2019

Zum Projekt:
Architekturen der Wissenschaft

Das Europäische Kulturerbejahr 2018 gab den Anlass für die hier dokumentierte Ausstellung. Sie wurde in allen drei Berliner Universitäten gezeigt, und so wurde die Diskussion über Wissenschaftsarchitektur in ihre historischen Gehäuse der Wissenschaft zurückgetragen, auch um einen Anstoß für das Nachdenken über Wissenschaftsarchitekturen der Zukunft zu geben.

Wir haben uns bei unserer Frage nach dem Ort der Wissenschaft in der Stadt leiten lassen von der wunderbaren Vorstellung des Berliner Wissenschafts- und Universitätshistorikers Rüdiger vom Bruch, der den Begriff der „Wissenschaft im Gehäuse“ geprägt hat. Damit sind über die institutionellen Rahmenbedingungen hinaus auch die konkreten Orte gemeint, die Hörsäle und Labore oder Bibliotheken, die die Wissensproduktion ermöglichen. Gehäuse gibt es als Muscheln oder Schneckengehäuse, es meint aber auch den Kern eines Apfels, bei dem die Samen in der Frucht eingeschlossen sind. Darüber hinaus kann ein Gehäuse ein Schutzgehäuse sein, z.B. für eine Uhr mit ihrem zarten Uhrwerk.

Dieses weite Bedeutungsfeld überträgt sich auf die Frage, was es bedeutet: für die Wissenschaft zu bauen. Die architektonische Form, die den Natur- und Lebens- wie den Geisteswissenschaften ein Gehäuse geben soll und die die Universität in der Stadt positioniert, verbindet die sich ausdifferenzierenden Wissenschaften mit der Metropole.

Indem wir auf die ursprünglichen Konzeptionen fokussieren und das komplizierte „Leben“, die vielfältigen Umbauten und Umnutzungen der einzelnen Gebäude ausklammern, konnten wir auch ungebaute Projekte und grandiose, aber gescheiterte Pläne einbinden und zeigen, wie sich der Architekturdiskurs der europäischen Metropolen in ihnen niederschlug.

Die Berliner Architekturen der Wissenschaft vereinen in sich Repräsentativität und Funktionalität, sie erzählen von Selbstbewusstsein und Macht, von Hybris, Zerstörung und Neubeginn, und sie zeigen, wie gleichzeitig eine reiche Tradition bewahrt und Neues geschaffen wird. Auf diese Weise bilden die Architekturen der Wissenschaft in Berlin einen lebendigen Teil des europäischen Kulturerbes.

Weitere Informationen

https://www.wissenschaft-in-der-stadt.hu-berlin.de/

Ausstellungsbroschüre:
Broschüre Architekturen der Wissenschaft

Publikation:
Publikation Architekturen der Wissenschaft

Ausstellung

Idee und Konzeption

Gabriele Metzler, Arne Schirrmacher

Mitarbeit

Leon Blohm, Nils Exner, Sascha Morawe, Paul Morawski, Victoria Thum, Maren Wienigk, Mona Wischhoff

Gestaltung

Konrad Angermüller, Sarah K. Becker, Katharina von Hagenow, Rosanna Wischoff

Übersetzung

Jim Cambell, Christopher Hüttmansberger, Arne Schirrmacher

In Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin

Finanziert von

Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Humboldt-Universität zu Berlin, Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin

Mit freundlicher Unterstützung des Tieranatomischen Theaters

Online-Ausstellung

Umsetzung

Arne Schirrmacher

Koordination

Laura Haßler

Design

anschlaege.de

Die Verantwortlichen haben sich entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechts bemüht, alle Rechteinhaber zu ermitteln. Sollten dennoch nicht berücksichtigte Ansprüche bestehen, sind wir für Benachrichtigungen dankbar.

Es gilt die Datenschutzverordnung der Humboldt-Universität zu Berlin